Die Mitchells gegen die Maschinen, und für das Verständnis

Was geschieht, wenn der Humor der besten Zeit von Disney, Pixar und all den Animationsstudios unserer Kindheit auf ein modernes Setting, die familiäre Liebe von What Remains Of Edith Finch trifft, und dabei noch einen Schwung der bahnbrechend großartigen Ästhetik von Scott Pilgrim vs. The rest oft the World trifft?

Der neueste Knüller von Netflix, Die Mitchells gegen die Maschinen, oder im englischen Original The Mitchells vs. The Machines. Und wer jetzt aufgepasst hat, versteht jetzt schon den Vergleich zu Edgar Wrights kultverdächtigem Scott Pilgrim und Pixar.

Der Titel allein bedient sich schon in seiner Grammatik an Scott Pilgrim, und im Humor an dem guten alten Pixar und Disney der 2000er, eine Zeit in der die Komödien eben nicht mehr nur für Kinder waren, und Kinderfilme auch mal was für Erwachsene waren. Und obwohl der Animationsstil, der Humor, und der etwas… fantasievolle Plot einen Kinderfilm vermuten lassen würden, ist The Mitchells vs. the Machines für mich eher ein „Coming of Age“-Film – Es zeigt das Erwachsenwerden eines Jugendlichen, und richtet sich auch an diese.

Die Themen der Internetnutzung, die Konzernkritik, und das Verhältnis der titelgebenden Mitchells ist aktueller als je zuvor, dabei verpasst der Film es jedoch nicht, pointierten Humor zu überbringen und seine Charaktere großartig zu charakterisieren und zu entwickeln. Und das ist einer der Gründe warum der Film so gut ist:

Die Charaktere. Die Mitchells sind das Ebenbild einer durchschnittlichen Familie, die so durchschnittlich charakterisiert ist, dass sie überzeichnend gewöhnlich sind. Ein Teenager, der keinen Anschluss an seine Eltern findet und sich von ihnen nicht verstanden fühlt. Ein Kind, dass sich der Realität des Lebens nicht weniger bewusst sein könnte, und noch dazu so eigen, dass er ein Außenseiter ist. Ein Vater, der sich mit der Technik nicht mehr anfreunden kann und den Anschluss an die Zeit verliert. Eine Mutter, die verzweifelt versucht die Familie zusammenzubringen. Es sind alles Überzeichnungen, die aber in ihren Charakteren schmerzhaft nachvollziehbar sind.

Und, noch über allem anderen, sind die Charaktere willig sich zu entwickeln und tun dies auch, aber eben nicht auf eine Hollywood-Weise, dass plötzlich alles toll und schön ist, dass das Kind endlich versteht wie toll die Eltern sind, sondern sie verändern sich alle, sie lernen sich zu verstehen – auch wenn es dafür einer Roboterapokalypse braucht.

Gemischt mit dem pointiert flachen Humor, den meine Generation noch aus Shrek, Avatar: Herr der Elemente und Kung Fu Panda kennt, die selbst heute noch witzig sind, ergibt sich ein großartiges Spektakel aus Spannung, Witz und Charakter, das sich einfach in die Erinnerung brennt. Dazu kommt die musikalische Unterstützung, die großartig eingesetzt wird und mit der lustigen, charakterisierenden und aufmerksamkeitssammelnden Ästhetik, den Pop-Ups, den Stickern, den Filtern, dem Commentary sich zwar stark an Scott Pilgrim vs. The World und Baby Driver von Edgar Wright bedient, aber das auch zu Recht und in gutem Beispiel.

Es macht den Film zu einem unvergesslich guten, lustigen, und erinnerungswürdigen Abenteuer, dass einen einfach mitreißt. Ein Film, der mich in meine unbesorgten Kindertage zurückgeworfen hat, ohne mich aus der Realität meines Lebens zu reißen. Absolut großartig. Meine Meinung? Muss man gesehen haben.

Filme, Serien, Spiele – Sie sind echte Magie

Wir schreiben heute das Jahr 2021, und die meisten von uns haben wahrscheinlich seit dem Sommer kein Kino mehr betreten. Die Ankündigungen für die nächsten Reihen von Blockbustern häufen sich, meine Netflix-Liste erweitert sich. Und während wir uns alle durch eine Pandemie kämpfen, fehlt uns eins: Das Zwischenmenschliche. Und ausgerechnet die verruchte Fiktion kompensiert das für uns.

In dieser Pandemie haben wir uns wie noch selten zuvor durch die Bibliotheken von Netflix gekämpft. Avatar: Herr der Elemente hatte ein globales Comeback, es verschwanden und erschienen Serien, und Christopher Nolan hat ein weiteres mal bewiesen, wie nichtig der Unterschied zwischen kompliziert und komplex ist. Aber eins hatte das alles gemeinsam: Wir suchen die emotionale Verbindung, die wir nicht mehr im Zwischenmenschlichen finden, in Filmen und Serien.

Man könnte dem natürlich entgegenhalten, dass es ja gar nicht so schwer sei, den Menschen ein wenig Emotion einzubläuen, wenn wir sogar emotionale Verbindungen zu unseren Staubsaugerrobotern herstellen – aber das wäre falsch.

Der Staubsaugerroboter piept fröhlich vor sich hin, tanzt herum und nimmt uns unsere Arbeit ab und verbringt mehrere Stunden am Tag mit uns – er erinnert uns an einen glücklichen Menschen, der selbst am gequälten alltäglichen die Liebe zum Leben findet, und ist damit menschlicher als die Menschheit selbst. Wir wollen alle ein wenig der Staubsaugerroboter sein, aber wir alle wissen, dass das nicht geht. Er ist unnahbar, ein Ideal, weil er in seiner Unmenschlichkeit menschlicher ist als wir alle.

Wir können nicht anders als den Staubsaugerroboter zu mögen, und dafür braucht er nicht mal ein Gesicht – naja, außer ein paar Wackelaugen für den Lacher. Aber Menschen? Bei Menschen ist da viel schwerer. Egal was ein Mensch tut, er muss sich in unseren Augen mit den Maßstäben der Menschlichkeit messen. Ein unmöglicher Standard, ein Charakter muss mehr als menschlich sein – oder eben genau menschlich. Ist zu wenig Mensch da, oder zu viel, dann erscheint es uns schlecht. Wir können diesen Charakter nicht mehr richtig sehen, ohne dass wir merken, dass etwas mit dem Charakter nicht stimmt.

Es ist die Schwierigkeit des Films, uns Charaktere zu präsentieren, die menschlicher sind als wir, ohne übermenschlich zu wirken. Das gleiche lässt sich auf jegliche Audiovisuelle Medienart übertragen -Film, Serie, Videospiel. Es sind die immersivsten Medien, die Medien, die uns eine ganze Welt präsentieren können, die die größte Schwierigkeit haben uns emotional zu berühren.

Denk einmal nach – wobei hast du zuletzt wirklich geweint? Was hat dich denn zuletzt so tief im Herzen berührt, dass dir die Tränen kamen? Sei es Wut, Hass, Freude oder Trauer, die wenigstens konnten direkt antworten.

Es sind die Filme, die uns etwas wahrhaft Menschliches in der Menschlichkeit zeigen. Es sind die Serien, die uns den Staubsaugerroboter in uns selbst zeigen, und den Staubsaugerroboter in uns hinterfragen. Es sind die Spiele, in denen wir den Staubsaugerroboter in uns spüren, denen wir wirklich mitfühlen.

Ich meine nicht in Empathie, dafür, dass der beste Freund des Hauptcharakters gestorben ist. Ich meine nicht die Frage danach, ob der Protagonist wirklich der Gute ist – Ich meine etwas viel Tieferes, dass niemand so wirklich beschreiben kann. Selbst ich kann es nicht. Etwas in uns, dass uns dazu zwingt, dass wir uns mit uns selbst beschäftigen. Es sind die Charaktere, mit denen wir nicht nur fiebern, mit denen wir uns nicht nur identifizieren, sondern zu denen wir werden und die wir auf einer tieferliegenden, emotionalen Ebene verstehen, als wären sie die Menschen neben uns, die uns auf diese Ebene führen. Es sind die Charaktere, die menschlicher sind als der Mensch.

Mein Lieblingsbeispiel, und eben deswegen mein Lieblingsspiel aller Zeiten, ist das Spiel „What Remains of Edith Finch“ aus dem Jahr 2017. Man spielt aus der Sicht von Edith Finch, einem 17-jährigen Mädchen, die nach dem Tod ihrer Mutter in das lang verlassene Familienhaus geht, und die Geschichte ihrer vom Pech verfolgten Familie verfolgt, und bei den meisten zu einem frühen Tod führt. Es konfrontiert uns mit einer Thematik, die wir alle irgendwann bedenken müssen: Wie sollen wir mit dem Tod umgehen? Aber es stellt diese Frage nicht einmal direkt in den Raum, es präsentiert uns Geschichten, Geschichten um diese Frage, aus der wir diese Frage uns stellen. Es zeigt uns menschliche Charaktere – Charaktere mit Problemen, mit Stärken wie Schwächen, mit einer Menschlichkeit in allem was wir tun, und zeigt dabei die meisten Charaktere nicht mal. Und obwohl wir die meisten Charaktere gerade mal 10 Minuten kennen lernen, trauern wir bei jedem Tod mit.

Und es muss uns auch keinen Charakter zeigen. Es sind die Geschichten selbst, in denen wir uns wiederfinden, die uns mitnehmen. Es ist das Erleben selbst, dass uns mitreißt, um uns zum Denken zu überwinden, und uns eine Frage zu stellen, die es zwar beantwortet, aber nicht verbindlich. Es ist, was das Spiel, der Macher des Spiels dazu denkt – aber nicht, was wir daraus mitnehmen müssen. Und es ist eben das, wie uns ein Film, eine Serie, oder ein Spiel berührt. Es ist das, wie 2 Stunden Spielzeit 20 Euro wert sein können, wie 2 Stunden Spielzeit emotionaler sein können Hunderte Stunden Serien schauen, wie 2 Stunden echte Menschlichkeit in reiner Fiktion emotionaler sein können als 40 Stunden einer dramaturgisch perfekten Kampagne, und es zeigt uns, was uns wirklich bewegt.

Es ist die Menschlichkeit. Es ist, wenn wir mit unserer Natur, unseren eigenen Fragen ans Leben und an die Welt konfrontiert werden. Wenn wir mit unserem eigenen Staubsaugerroboter konfrontiert, anstatt herangeführt werden, dass wir wirklich mitfühlen. Es ist der Konflikt mit dem was uns menschlich macht, der uns menschlich macht – und erst wenn wir das durch einen Film, durch eine Seire oder durch ein Spiel erfahren, wird uns wirklich Gewahr was es heißt Mensch zu sein, und wir beginnen zu fühlen, und unseren Emotionen freien Lauf zu lassen. Wir entdecken unseren inneren, echten Staubsaugerroboter.

Und das ist die wahre Magie in unserer Welt.